Zulässigkeit von Balkonkraftwerken (Plug&Play) in Deutschland (EU?)

​Vorweg: Es wird in den Anwendungsrichtlinien der VDE von "Steckerfertigen Erzeugungsanlagen" gesprochen, nicht von Plug&Play-PV-Anlagen, Balkonkraftwerken, Mini-PV-Anlagen etc... Gemeint ist aber das Selbe.

Kurz:

600W ist erlaubt wenn die Anlage beim EW und bei der Bundesnetzagentur gemeldet wird.
Was die Sache kompliziert macht: Bei VDE kann man lesen: Die anschliessbare Leistung sei abhängig vom Leiterquerschnitt und von der Strombelastbarkeit der Steckvorrichtung... Letzteres setzt aber einen Fachmann oder eine Anlage voraus die die Belastung der Leitung überwacht!

Detailliert:

Inzwischen steht in der VDE-Anwendungsregel VDE-AR-N 4105:2018-11
Wird eine steckerfertige Erzeugungsanlage mit einer maximalen Leistung von SAmax ≤ 600 VA je Anschlussnutzeranlage über eine vorhandene spezielle Energiesteckdose (z. B. nach VDE V 0628-1) angeschlossen, ist das Formular „Anmeldung einer steckerfertigen Erzeugungsanlage bis 600 VA“ anzuwenden​.

Die Neuregelung der Norm VDE-AR-N 4105 trat am am 27.04.2019 in Kraft. Sie erlaubt Verbrauchern, steckbare PV-Anlagen bis 600W (AC) selbst beim Netzbetreiber an zu melden, statt wie bisher über einen Elektroinstallateur.

Also sind solche Anlagen in Deutschland nun legal und keine Guerilla-Photovoltaik mehr. Allerdings bedeutet die VDE-Anwendungsregel mit dem Zwang zu einer speziellen Energiesteckdose (mit Angabe der an dieser Leitung max. zulässigen Leistung), dass genau genommen eine Elektrofachkraft eine solche Energiesteckdose z.B. von Wieland installieren muss. 

600W AC (Wechselrichterleistung) oder 600W DC (Modulleistung)?

Es gilt die Leistung auf Wechselstromseite (AC) und somit die des Wechselrichters.

Aus diesen Gründen gibt es darüber Missverständnisse:
- Bei grossen Anlage
n muss die Nennleistung der Module mit angegeben werden. Z.B. wird in der Schweiz die Einmalzahlungen (Subventionen) nur auf die Modulleistung bezogen und nicht auf den Wechselrichter oder gar den zu erwartenden Ertrag. So denken viele es ist die DC-Leistung gemeint. 

​- Manche EWs schreiben der Einfachheit halber von 600Wp Modulleistung, damit jeder denken kann er hat's verstanden was erlaubt ist...:rolleyes:​​​ (Oder weil die, die das schreiben selber einfach irgendwo abschreiben.)

​Fakt ist aber: 

​- Es gilt die VDE-Anwendungsregel VDE-AR-N 4105:2018-11 und nicht irgendwelche vereinfachten Erklärungen ...
​- in der VDE-AR-N 4105:2018-11 (Abs. 5.5.3 Steckerfertige Erzeugungsanlagen) steht: 
​​SAmax <= 600 VA je Anschlussnutzeranlage​​
- Von DC Nennleistung (nach STC 25C ... was wäre bei -20C??) Wp steht in den Normen nichts. Wer behauptet die DC-Leistung zähle, der dichtet meiner Meinung nach, denn ich habe keine Belege dafür finden können.

Bei mitnetz-strom.de ​Technische Regelung​​ steht:
​- S31Definition: SAmax in kVA: maximaler 10-min-Mittelwert der Scheinleistung der Erzeugungsanlage;​
- S 32 Anmerkung 4: Wird eine steckerfertige Erzeugungsanlage mit einer maximalen Leistung von SAmax ≤ 600 VA je Anschlussnutzeranlage über eine vorhandene spezielle Energiesteckdose (z. B. nach VDE V 0628-1) angeschlossen, ist das Formular „Anmeldung einer steckerfertigen Erzeugungsanlage bis 600 VA“ anzuwenden​.

- VA ist eine AC (Leistungs) Angabe
SAmax und Scheinleistung: Solarmodule haben mit Scheinleistung nichts zu tun. Es kann nur die Leistung des WRs gemeint sein.
- Mit Anschlussnutzeranlage ist normalerweise ein AC Gerät, hier also der Wechselrichter gemeint.​​
- Bei stadtwerke-glueckstadt.de​​ steht es ähnlich. 

​Ausserdem würde im Streitfall vor Gericht ja auch der Sinn zählen, und der ist eine Leitungsüberlastung zu vermeiden und nicht zB die Anzahl oder Art der Module zu begrenzen... :saint:​​​


Elektriker nötig oder nicht?

Man kann die Anlage selbst beim Netzbetreiber anmelden, aber die Energiesteckdose muss genau genommen eine Elektrofachkraft installieren. Somit sind die Anlagen eigentlich nicht "einfach" anschliessbar. Man kann jetzt Erbsen zählen und sagen Plug&Play ist in Deutschland nicht erlaubt weil ein Elektriker für die Dose nötig ist und somit eine Verhinderungspolitik betreiben... Oder man kann statt alles bis ins letzte Detail zu regeln, an die Selbstverantwortung der Nutzer glauben.

In der Schweiz z.B. ist es völlig klar geregelt was Plug&Play ist und sein darf, was als Konsequenz einige technisch völlig unnötige Einschränkungen zur Folge hat und selbst sehr sinnvolle Lösungen aussen vor lässt.... (Ich meine z.B. einen festen Anschluss statt Stecker oder gar eine extra Leitung, oder Leitungsschutzregelungen wie die von ready2plugin.)


Die Anmeldung bei der Bundesnetzagentur ist über diesen Link auch nötig.


Ist 600W (AC) in Deutschland wirklich die Grenze?

In Deutschland (im Gegensatz zur Schweiz) ist das durchaus nicht klar, Zitat aus www.vde.com:

"Die maximal anschließbare Leistung einer steckerfertigen PV Anlage ist abhängig vom Leiterquerschnitt der vorhanden Zuleitung und von der Strombelastbarkeit der Steckvorrichtung. Die Energiesteckvorrichtung nach Vornorm DIN VDE V 0628-1 (VDE V 0628-1) ist für maximal 16 A (3,68 kVA) zugelassen. Pro Energiesteckvorrichtung ist eine Erzeugungsanlage zulässig.

Beispiel: Bei einem Leiterquerschnitt von 1,5 mm² ist dies auf maximal 16 A (3,68 kVA) begrenzt. Hierbei ist zu beachten, dass bei Verwendung eines vorhandenen Endstromkreises die Leitungsbelastung mit der Berechnungsformel aus der Vornorm DIN VDE V 0100-551-1 (VDE V 0100-551-1) zwingend eingehalten werden muss."

Es scheint umstritten zu sein, ob die Anwendungsregel was die 600W betrifft bindend ist.





Normalerweise würde ich das so interpretieren:
Entweder 600W oder ein Elektriker schaut sich die Leitung an. Wenn die Leitung ausreichend ist, dann wird die Sicherung gegen eine kleinere getauscht, so dass die Leistung die die Sicherung zulässt PLUS die max. Leistung der PV-Anlage zusammen nicht grösser ist als die max. zulässige Belastung der Leitung.

Eine Einschränkung auf eine Anlage pro Haushalt wie in CH sehe ich auch nicht.
Das ist auch logisch, denn der Elektriker ist ja dafür verantwortlich die eine bzw. mehrere Leitungen zu prüfen...
 


EU Netzkodex 2016/631 und 800W 

Ermittlung der Signifikanz 
(1) Die von Stromerzeugungsanlagen zu erfüllenden Anforderungen richten sich nach den in Absatz 2 beschriebenen Kategorien, die auf der Spannung am Netzanschlusspunkt und der Maximalkapazität beruhen. 
(2) Stromerzeugungsanlagen der folgenden Kategorien gelten als signifikant: 
a) Netzanschlusspunkt unter 110 kV und Maximalkapazität von mindestens 0,8 kW (Typ A)

Die deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie dazu: Link

Ein Kommentar (s.u.) weist zurecht darauf hin, dass der Netzkodex eine andere Regelung nicht verbietet.


Dieser Post (gibt wie alle Posts) die Meinung des Autors wieder und ist zur Information gedacht, die keinerlei Garantien oder Handlungsanweisungen beinhaltet. Beratung vom Fachmann ist meist ein Vorteil.



Wie immer sind Kommentare und Fragen willkommen.

Kommentare

  1. Erstklassiger Artikel! Zeugt von enormer Sachkompetenz! Der Netzkodex schreibt allerdings nicht vor, dass nach seiner Definition "nicht signifikante" Anlagen keinerlei Regelung mehr benötigen. Mehr dazu hier: https://mailchi.mp/machdeinenstrom.de/mini-solar-news_kw_15_2021#Heading1

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